In Deutschland mindestens 15.000, in Europa über 25.000 und weltweit mehr als 700.000. Das sind die alarmierenden Anzahlen der jährlich an Infektionen durch multiresistente Keime versterbenden Menschen. Mit anderen Worten: Kein Antibiotikum hilft mehr. So etwas bezeichnet man als urgent medical need. Doch das ist nur eine Momentaufnahme. So könnte die globale Anzahl bis 2050 auf jährlich zehn Millionen hochschnellen und sich – mit deutlichem Abstand vor Krebs und anderen Plagen – als häufigste Todesursache etablieren. Gehandelt werden muss jetzt: Doch was geschieht?
Unmittelbare Handlungsoptionen ergeben sich aus der Bekämpfung der Ursachen: Unselektive Antibiotikagabe, zu geringe therapeutische Konzentrationen, zu frühes Absetzen, die massenhafte Verordnung von Breitbandwirkstoffen, der Einsatz von Antibiotika in der Tiermast und nicht zuletzt die nach wie vor lauernde Gefahr, sich im Krankenhaus mit an einem multiresistenten Keim zu infizieren: alles Facetten desselben, galoppierend anwachsenden Problems. Auf allen Ebenen wird nun gehandelt (wenngleich mit der unrühmlichen Ausnahme der Baustelle „Tiermast“). So fokussiert etwa das Strategieprogramm „DART 2020“ der Bundesregierung auf die gezieltere und verringerte ärztliche Verordnung von Antibiotika und die verbesserte Meldepflicht für gefährliche Erreger.
Doch dies wird nicht reichen. Der Geist mit dem Namen Resistenz ist aus der Flasche. Geeignete Behandlungsoptionen müssen gefunden werden. Und mittlerweile hat das Thema neben der menschlichen Dimension auch ökonomische Brisanz erlangt: so rückte ein notabene im Wirtschaftsteil der „Welt“ am 8 Juni 2015 erschienener Artikel die Antibiotika-Resistenzen ins Schlaglicht. Denn die Organisatoren des Weltwirtschaftsforums 2015 in Davos hatten sie im Vorfeld als eine der größten Gefahren der globalen Wirtschaft ausgemacht: jährlich belasten resistente Infektionen die Gesundheitssysteme allein in Europa bereits im Milliardenbereich. Unter deutscher Präsidentschaft platzierte die Bundesregierung das akute Thema dann auch auf der Agenda des G-7-Gipfeltreffens 2015. In der Folge wurden nationale und internationale Förderprogramme implementiert, die nun auch die Therapieentwicklungen der Rodos Biotarget unterstützen (vgl. unseren Beitrag vom 15. Oktober).
Naturgemäß werden pathogene Bakterien beständig Resistenzen gegen Wirkstoffe entwickeln. Daher sind wir darauf angewiesen, immer wieder neue Antibiotika zu entwickeln. Nicht etwa solche mit nur leicht veränderten Strukturen, die bald wieder ihre Schlagkraft verlieren, sondern solche mit wirklich neuen Wirkmechanismen. Doch seit Beginn der 1990er Jahre hat sich „Big Pharma“ weitgehend aus der Entwicklung neuer antibakterieller Wirkstoffklassen zurückgezogen. Die Sparte galt schlichtweg als nicht lukrativ. Die Folge: Wir leben von der Substanz – und von so genannten Reserveantibiotika, die nur als letzter Ausweg zulässig sind. Doch auch diese versagen immer häufiger.
Für Patienten mit wirkstoffresistenter Tuberkulose ist das neue Antibiotikum Bedaquilin (entwickelt und vertrieben durch die Janssen-Cilag) ein Silberstreif am Horizont. In hochpreisigen Ländern sind die Kosten pro Patient vergleichbar – so etwa in Deutschland (ca. € 25.000), Großbritannien (ca. £ 19.000) und den USA (ca. $ 30.000). Doch laut der Online-Plattform TBFACTS.ORG waren im Oktober 2016 weltweit nur 5.700 Patienten mit Bedaquilin behandelt worden; dies macht deutlich, dass mit solchen Entwicklungen nicht wirklich Geld verdient werden kann und sich die Entwicklungskosten kaum amortisieren.
Versuchen wir nicht allzu schwarz zu sehen, so befinden sich vielleicht 50 neue Antibiotika in der Entwicklung. Doch unterm Strich ist die Bilanz ernüchternd. Ein Beispiel: die Entwicklungsbemühungen im Bereich „Krebs“; hier wird weltweit an rundum 1.000 neuen Therapeutika gearbeitet – eine augenfällig andere Größenordnung. Zudem befinden sich einige Antibiotikakandidaten noch in teils sehr frühen Stadien. Und: Erfahrungsgemäß werden nicht wenige der heute als aussichtsvoll erscheinenden Entwicklungen letztlich im Sande verlaufen.
Die Konsequenz? Wir brauchen – selbstverständlich zusätzlich – neue Denkansätze.
Einen solchen Denkansatz verfolgen die Rodos Biotarget und ihre Entwicklungspartner: Nimmt man einen geeigneten Nanotransporter, um ein bekanntes Antibiotikum gezielt in eine bakteriell infizierte Zelle einzubringen, so kann man der Zelle deutlich höhere Antibiotikakonzentrationen zumuten, als dies mit dem frei löslichen Wirkstoff möglich wäre. Denn dann würden die Risiken aufgrund teils sehr hoher Nebenwirkungen nicht mehr vertretbar sein. Der Clou: auf diese fokussiert-konzentrierte Weise können auch ansonsten resistente Keime wirksam attackiert werden. Wir können also unser verfügbares Arsenal weiter nutzen, um den bakteriellen Resistenzen therapeutisch die Stirn zu bieten.
Wie in unserem Beitrag vom 15. Oktober beschrieben, wird die Rodos diesen Ansatz nun im Rahmen eines schlagkräftigen Konsortiums bespielhaft für die weltweit häufigste bakterielle Infektion – die Lungentuberkulose – umsetzen. Doch die Relevanz reicht weit darüber hinaus. In diesem BMBF-geförderten Projekt werden Erkenntnisse gewonnen werden, die auch auf andere therapieresistente Keime anwendbar sind. Sagen wir der heraufdämmernden „post-antibiotischen Ära“ also den Kampf an. Es ist höchste Zeit.
Literatur
Dall C. Public-private partnership aims to spur new antibiotics. CIDRAP News. 28 July, 2016. Quelle: http://www.cidrap.umn.edu/news-perspective/2016/07/public-private-partnership-aims-spur-new-antibiotics (Zugang: 26.10.2017)
Ettel A. Antibiotika-Resistenz – die Superseuche der Zukunft. 08.06.2015. Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article142110146/Antibiotika-Resistenz-die-Superseuche-der-Zukunft.html (Zugang: 25.10.2017)
TBFACTS.ORG. Bedaquiline – Dose, trials, side effects, cost. Quelle: https://www.tbfacts.org/bedaquiline/ (Zugang: 26.10.2017)
World Health Organization. WHO’s first global report on antibiotic resistance reveals serious, worldwide threat to public health. April 30, 2014. Quelle: http://www.who.int/mediacentre/news/releases/2014/amr-report/en/ (Zugänge: 30.04.2014 und 25.10.2017)