„Hätte, hätte, Fahrradkette.“ Sicherlich kennen Sie diesen Spruch. Wissen Sie auch noch, wer ihn populär gemacht hat? Das war SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf 2013. Der Spruch steht für mich als Synonym für die politische Realität in Deutschland und wahrscheinlich auch in vielen anderen Ländern. Politiker unterscheiden sich nicht sehr von den Lenkern börsennotierter Konzerne, die kurzfristig auf die nächste Quartalsmitteilung schielen und die langfristigen Ziele dabei in den Hintergrund rücken lassen. Nur, dass die Quartalsmitteilung in der Politik „Deutschland-Trend“ oder „Politbarometer“ heißt und in Umfrageergebnissen gemessen wird, statt in Börsenkursentwicklungen. Deshalb wird in einen Koalitionsvertrag wohl möglichst viel gepackt, was maximale Zustimmung und wenig Widerspruch erwarten lässt. Konkrete Vorgaben lassen sich nur wenige finden, nur nichts formulieren auf das man bei der nächsten Wahl festgenagelt werden könnte.
Buzzword-Bingo: Jeder bekommt etwas ab
Die Präambel des Koalitionsvertrages liest sich entsprechend: „Wir wollen Frieden, Sicherheit, Wohlstand, eine dynamische Wirtschaft, Gerechtigkeit, Fortschritt, sozialen Zusammenhalt, Vollbeschäftigung, ausreichend Kitaplätze, usw. Ja, wer möchte das denn nicht?
Und an manchen Stellen wird es sogar konkret, Beispiel digitale Infrastruktur: „Deshalb wollen wir den flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025 erreichen. Wir wollen den Netzinfrastrukturwechsel zur Glasfaser. Unser Ziel lautet: Glasfaser in jeder Region und jeder Gemeinde, möglichst direkt bis zum Haus. Schulen, Gewerbegebiete, soziale Einrichtungen in der Trägerschaft der öffentlichen Hand und Krankenhäuser werden wir bereits in dieser Legislaturperiode direkt an das Glasfasernetz anbinden.“
Das klingt doch super, oder? Es werden sogar konkrete Summen (bis 12. Mrd. €) genannt, die „in der laufenden Legislaturperiode“ investiert werden sollen (wie lange wird die denn eigentlich laufen?). Das sind allerdings 8 Mrd. € weniger, als noch bei „Jamaika“ kalkuliert worden waren. Und der versprochene Rechtsanspruch auf ein (wie?) „schnelles Internet“ soll erst ab dem 1. Januar 2025 festgeschrieben werden. Heißt das, die Verfasser glauben selbst nicht daran, dass das gesteckte Ziel innerhalb der offiziell verbleibenden dreieinhalb Jahr erreicht wird?
Nicht nur Digitalisierung, auch Wachstumsunternehmen, Wagniskapital, künstliche Intelligenz, etc. bleiben im Koalitionsvertrag nicht unerwähnt. Ein schönes Vorhaben in Sachen Start-up- und Innovationsförderung ist die Einführung der sogenannten Gründerzeit. Analog zur Elternzeit soll sie eingeführt werden, um die Unternehmensgründung besser mit der Familie vereinbar zu machen. Die Redaktion der „Gründerszene“ hat mal nachgeschlagen und festgestellt, dass im Koalitionsvertrag von 2013 noch stand, „wir werden die Gründerzeit einführen“. Im aktuellen Vertrag ist nur noch die Rede davon, die Einführung „zu prüfen“.
„If you think you are too small too make a difference, try sleeping with a mosquito in your room.”
Das führt deutlich vor Augen, dass die Politik letztlich auf dem Platz gemacht wird. Und am Ende wird es dann wieder heißen „hätte, hätte, …“. Sprich, das Tagesgeschäft bestimmt, was umgesetzt wird, weil Themen gerade von meinungsmachenden Medien und Umfrageinstituten auf die Agenda der Entscheider gesetzt wurden. Das ist menschlich und das ist vielleicht ein Schwachpunkt unseres demokratischen Systems.
Macht es dann überhaupt Sinn, den Koalitionsvertrag zu lesen? Ja, denn wir sollten unsere Politiker nicht nur an ihren Versprechen, sondern am Erreichen der gesetzten Ziele messen. Sie sind mit der Situation nicht zufrieden? Dann engagieren Sie sich, mischen Sie sich ein. Alle vier Jahre zu lamentieren ist bequem. Wer etwas ändern, wer gestalten möchte, der sollte aktiv werden. Dafür gibt es viele Möglichkeiten: als Politiker, in Verbänden, als Investor oder als Unternehmer.
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Bild: © Armin Linnartz (bearbeitet, CC-BY-SA-3.0-DE)